Die FAZ hatte vor kurzem mal wieder das alte Zugezogenen-Thema aufgegriffen und etwas über das Verhältnis der Berliner zu den “Schwaben” berichtet. Überraschend objektiv.
Schwabenhass in Berlin
Die Super-Wessis und Proto-Yuppies
Von Anna Loll, Berlin
05. April 2009 Tini kam aus Schwäbisch Gmünd, einem großen Dorf mit hübschen Fachwerkhäusern, sagenhaft sauber. Berlin passte trotzdem zu ihr. Sie hatte sich die Haare rot gefärbt, wollte Piercings im Gesicht tragen, rauchte wie ein Schlot und sagte zwischendurch: „Berlin isch wirklich obercuul, gell?“ Das schon. Aber leider findet Berlin die Tini nicht cool.
Jedenfalls, wenn man den Kampagnen gegen ihre Landsleute glauben darf. Immer wieder steht an Hauswänden in Prenzlauer Berg: „Schwaben raus!“ Im vergangenen Jahr hingen rings um den Helmholtzplatz Plakate: „Schwaben in Prenzlauer Berg spießig, überwachungswütig in der Nachbarschaft und kein Sinn für Berliner Kultur. Was wollt ihr eigentlich hier???“ Sogar eine Demo war angekündigt: „Fuck Yuppies, gegen Porno-Hippie-Schwaben“. Wer damit gemeint ist, weiß die Stadtzeitung „Zitty“: „Er ist die Weiterentwicklung des Latte-Macchiato-Trinkers und des Urbanen Penners, allerdings mit mehr Geld. Der Porno-Hippie-Schwabe kann durchaus ein Medienmensch sein, muss aber nicht, möglicherweise verdient er sein Geld auch in der Werbung. Sein Ziel ist es, in einem Townhouse zu wohnen, das ist der schwäbische Ansatz. Porno wohl deshalb, weil er im Sommer gerne große Sonnenbrillen trägt, denn der Porno-Hippie-Schwabe ist am Ende auch ein Fashion-Victim.“ Auf der Internetseite fragte das Magazin, welchen Nachbarn der Berliner am meisten hasse. Der Schwabe führte die Liste an – vor der jungen Familie in Prenzlauer Berg und dem Öko-Faschisten.
Anzeige„Die reden irgendwie falsch“
Das Schwabensein hat in Berlin nicht unbedingt etwas mit den süddeutschen Schwaben zu tun. Vielmehr ist es ein Synonym für all die pedantischen und reichen Zugezogenen aus dem Süden und Westen der Republik, die ihr Leben durch Berlin auffrischen wollen. „Die Schwaben, das sind die Super-Wessis“, sagt Niklas Vincetic aus dem Café „Toast“ am Helmholtzplatz. Heimat färbe ab: „Die haben eine ganz andere Mentalität als wir hier oben.“ Vincetic ist seit 1993 in Berlin und kommt aus Halle. Das sei Preußen. Junkerland. „Nicht so kleines Häuschen bauen, Familienbetrieb haben wie im Schwabenländle.“
Das Problem sei nicht primär, dass die Schwaben die Preise hochtreiben, zum Beispiel mit den von ihnen neu renovierten Wohnungen. Vincetic, der eine schwäbische Großmutter hat, sieht die Sache allgemeiner. „Es gibt einfach zu viele von denen hier. Die reden irgendwie falsch. Stehen mit geweiteten Augen im Blümchenhemdchen da, wenn was Normales passiert: ,Wasch macht denn der Punk da?’“ Vincetic seufzt und sagt: „Man fühlt sich plötzlich fremd im eigenen Kiez.“ Wieso kommen die Migranten überhaupt aus ihrem so schönen, reichen, ordentlichen Paradies in die chaotischste, dreckigste Stadt Deutschlands? Christian Fox lehnt sich in seinem drehbaren Designerstuhl zurück und überlegt: „Ich mag meine Heimat.“ Manchmal mache er Käsespätzle für seine Freunde. Die fänden’s super. Seinen Akzent hat der 34 Jahre alte Süddeutsche aber trotzdem abgelegt. „Am Anfang kam ich ganz schlimm schwäbelnd daher.“ Doch zum Glück hatte er Freunde, die ihm sagten, dass er sich das besser schnell abgewöhne. „Sonst redet hier keiner mit dir.“
Das „Gell“ rutscht hier keinem mehr raus – zu gefährlich
Das sei natürlich ein Witz gewesen. Wenn jemand ihn als „Schwoab“ erkenne, werde er nur im Scherz damit aufgezogen. Das „Gell“ rutscht Fox trotzdem nicht mehr raus. Der Inhaber der PR-Agentur Markengold und Anwohner am Helmholtzkiez kommt aus der 6000-Seelen-Gemeinde Deggingen. Werbespruch: „Wohnen, wo andere Ferien machen“. „Nur, dass ich noch nie jemanden gesehen habe, der da Urlaub machen wollte.“ Als er klein war, habe er auf die Frage, was er machen wolle, geantwortet: wegziehen. Seit 1995 ist er in Berlin. Hier könne man leben. Was er machen wollte, konnte er damals in der Heimat nicht tun. „Als Mann wird man bei uns entweder Ingenieur oder – Ingenieur.“ Wie die meisten Klassenkameraden. Die Frauen wurden Lehrerinnen.
Die Schwaben, durch ihren Akzent leicht zu identifizieren, sind nach den Türken die größte Gruppe mit Migrationshintergrund in Berlin. „Berlin ist die Stadt, die viele Schwaben im Schwabenländle nie hinkriegen würden, aber gerne hätten“, sagt Fox. Berlin als Verkörperung des Antischwäbischen also, das die untypischen Schwaben anzieht. „Das Schwabentum“, vermutet Vincetic, „ist den Schwaben wahrscheinlich selbst zu extrem.“
„Andere haben früher die Häuser besetzt, wir kaufen sie eben“
Doch werde aus einem Schwaben einfach in den seltensten Fällen ein kompatibler Berliner, sagt ein Mann aus Baden. Das scheinen die Schwaben selbst nur nicht wahrhaben zu wollen. „Die, die mit ihrer Heimat nicht klarkommen, gehen zwar nach Berlin. Aber ganz weit weg von zu Hause bauen sie dann Klein-Schwabenland nach.“ Plötzlich werde im Schwaben-Anwohnerviertel alles sauber und geordnet. Sie seien schließlich strenggläubige Lutheraner, die durch die Gegenreformation wieder Katholiken wurden. „Zwanghafte Arbeitsmoral und Sündenbewusstsein – keine gute Kombination“, sagt der Badener, der seit fast 20 Jahren in Berlin lebt. Der Sauberkeitswahn stamme noch aus dem Dreißigjährigen Krieg: „Da haben die ihr Land total zerstört und mussten danach alles wieder aufräumen.“
Ein schwäbischer Unternehmer in Tiergarten kann sich über die Hetze dagegen nur aufregen: „Ja, wir sind sparsam. Ja, wir sind diszipliniert. Aber wir erreichen auch viel!“ Das sei doch eine reine Neiddebatte. Als Schwabe sei man eben gewohnt zu schaffen. Ganz anders als der Berliner. Der habe in seiner subventionierten Stadt, vor allem übrigens mit Geldern aus Baden-Württemberg, nie gelernt, was es bedeute, sich etwas erarbeiten zu müssen – wie die Schwaben, die noch vor 50 Jahren arm gewesen seien. „Da drehen viele den Pfennig um, weil sie es lange mussten.“ Die Berliner dagegen hätten ihr Leben lang Party gemacht – und stünden nun ohne Geld da. Das Einzige, was ihnen noch bleibe: die fleißigeren Zugezogenen schlechtzumachen. Der Unternehmer schüttelt den Kopf: „Die sind nicht so wie mir.“
Die Assoziation mit Super-Wessis oder Proto-Yuppies erklärt sich auch Andreas Schütze mit der Leistungsbereitschaft der Schwaben. „Unsere Kulturen sind vielleicht schon etwas gegensätzlich“, sagt der Ministerialdirektor der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin. „Andere haben früher die Häuser besetzt, wir kaufen sie eben.“ Seine Landsleute könnten sich aufgrund harter Arbeit oft einen gehobenen Lebensstil erlauben. „Mir tun das ja nicht, um andere zu ärgern!“
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: Matthias Lüdecke – FAZ
