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Wenn Sprühdosen Leben verändern

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DISTER hat auf seiner Website einen Artikel über ihn, AKIM und DEJOE veröffentlicht. (via)

Drei Männer, alle über dreißig, alle Teil der Berliner Graffitiszene. Vor zwanzig Jahren hatten KIM, DISTER und DEJOE ihre ersten Sprühdosen in der Hand und malten ihre bunten Schriftzüge an die Wände von Berlin. Und während die Farbe über die Jahre verblasste, sind ihre Erinnerungen lebendig geblieben. Warum sich die Drei in Graffiti verliebt haben und wieso diese Liebe bis heute hält, erzählen sie im Gespräch.

Dejoe, 38

Wenn Graffitigrößen aus Amsterdam seinen Style loben, weiß jeder in der Szene, es geht um DEJOE. Wenn die Raplegende Kool Savas ihn in einem Song erwähnt, wissen die Anhänger des HipHops, es geht um DEJOE. Wenn man zu hören bekommt, dass Bescheidenheit das Wichtigste im Leben ist, weiß man, es geht um DEJOE.

“Mein erstes richtiges Graffiti habe ich vor 22 Jahren gesprüht. Ich hatte bei einem Klassenkameraden diese bunten Zeichnungen gesehen und war sofort begeistert. Die Farben und Formen, das wollte ich auch können. Wie viele andere habe ich dann ganz unten angefangen. Die Sprühercrews hatten eine richtige Hierarchie, also durfte ich am Anfang nur ausfüllen. Die Umrisse haben andere erledigt, Leute, die schon länger dabei waren. Aber ich wurde immer besser, habe mich richtig intensiv mit dem Zeichnen beschäftigt. Viele meiner Kollegen sagen, ich hätte als erster Deutscher unterschiedliche Stilrichtungen im Graffiti probiert… Ich finde, ich war einfach nur neugierig. Der sogenannte Fame war mir dabei nie wichtig. Berühmt werden? Das konnte ich mir nie vorstellen.

Ich möchte, dass die Menschen mich respektieren, weil ich ein guter Writer bin, weil ich ein Gefühl habe, für das, was ich tue. Aber ich muss meinen Namen und mein Gesicht nicht überall sehen. Ich habe das oft beobachtet: Erst wirst du groß, und dann fällst du sehr tief. Die Graffitiszene ist voller Neid und ich versuche bis heute, das so wenig wie möglich in mein Leben zu lassen. Ich halte mich gerne im Hintergrund und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich habe nie eine Ausbildung gemacht, weil ich immer wusste, das einzige, was ich will, ist malen. Und auflegen. Ich bin DJ, der HipHop hat mir nicht nur Graffiti, sondern auch das DJing beigebracht. Ich liebe Musik und stöbere gern stundenlang auf Flohmärkten nach alten Platten.

Ich denke nicht viel an die Zukunft. Ich kann einigermaßen von meinen Gagen leben und brauche nicht viel. Es gibt Wichtigeres als Geld oder Erfolg. Familie, Freunde, Liebe und Respekt. Ich bin glücklich mit meinem Leben. Ich male gerne für Freunde, für Menschen, die meine Kunst zu schätzen wissen. Heute Abend gehe ich das Zimmer von einem Freund sprühen. Ich habe ein paar wirklich coole Platten dafür bekommen.”

Kim, 34

Eine Begegnung mit KIM lässt sich nicht mal so nebenbei arrangieren. Und ein Gespräch mit KIM lässt sich nicht mal so nebenbei führen. Die wohl außergewöhnlichste Persönlichkeit in der Berliner Graffitiszene fordert höchste Konzentration, Ernsthaftigkeit und Interesse. Denn die Sätze, die er sagt, klingen wie eine Predigt. Zugegeben, eine ziemlich moderne Straßenpredigt.

”In meiner Heimat Vietnam bedeutet der Name Kim ‘Diamant’. Ein Edelstein, der alles überdauert und nie zu Bruch geht, das gefällt mir. So ähnlich sehe ich mich selbst. Ich habe viel erlebt, bin bei deutschen Pflegeeltern in Wedding aufgewachsen. `88 fing das dann an mit dem Sprühen. Die Graffitiwelt mag voll sein von Konkurrenz und Neid, aber sie ist farbenblind. Hier interessiert es niemanden, wo du herkommst oder wie viel du besitzt. Wichtig ist nur, was du kannst. Es gibt keine Vorurteile, keinen Rassismus. Über welchen Teil der Gesellschaft kann man das schon sagen? Auch dass ich mit Männern ins Bett gehe, wird akzeptiert, denn meine Kollegen respektieren mich als Künstler. Meinen Namen sichtbar zu machen und gegen die Polizei und den Staat zu rebellieren, war für mich nur der Anfang.

Ich erkannte schnell, dass ich mehr will. Ich möchte die Leute aus ihrer Alltagsroutine reißen, sie aufrütteln und ihnen zeigen, dass der öffentliche Raum uns allen gehört und der Mensch frei ist in seiner eigenen Kunst. Und so fing ich an, meine Kreativität in den dreidimensionalen Raum zu übersetzen. Ich entwickelte mein eigenes Alphabet, meine ganz persönliche Schrift und brachte die plastischen Buchstaben an den unterschiedlichsten Stellen in den Städten an. So entstand ein viel haptischeres Gefühl für den Betrachter als bei aufgesprühten Zeichen und ich machte meine Ideen greifbar. Die Graffitiszene ist voll von Traditionalisten, ich sehe mich selbst mehr als Experimentalist. Es ist mir sehr wichtig, mit unterschiedlichen Materialien zu arbeiten. Neben meinen Sprühdosen mache ich viel mit Styropor, Draht und Metall

Ich forme neue Dinge und erzähle den Leuten so, dass es mich gibt. Ich definiere Streetart inzwischen fast schon als Streetwork. In Workshops gebe ich meine Erfahrungen weiter und versuche, als Aktionskünstler meine Umwelt mit einzubeziehen. Ich reise viel. Durch meine Bekanntheit habe ich tolle Möglichkeiten, von Amsterdam bis Mailand über Manchester bis Tokio. Ich stelle meine Kunst aus und koche mit Kindern auf offener Straße Marmelade. Das Wichtigste ist, dass meine Kunst nicht langweilt. Ich bin immer noch sehr aktiv, das Sprühen wird mich niemals ganz loslassen. Ich bin gierig auf das Leben und die Welt, die ich durch Graffiti entdecke. Mein aktuelles Projekt ist eine Kunsthalle. Morgen früh fliege ich deswegen nach Seoul.”

Dister, 34

Alle Kinder haben Träume. Und während die meisten von ihnen Tierärztin oder Feuerwehrmann werden wollen, gibt es ein paar, die es ganz anders machen möchten. DISTER war mal so ein Kind. Neugierig und frech, ein kleiner Rebell, der sich von nichts und niemandem etwas vorschreiben lassen wollte. Also wurde er Graffitisprüher.

“Ich bin ein richtiges Ostkind, bin in der DDR aufgewachsen. Als die Mauer dann weg war, ist meine Mutter mit mir in den Westbaumarkt gefahren und hat mir meine erste Sprühdose gekauft. Sie war schwarz und sollte meinem Fahrrad den coolen BMX-Look verleihen. Was soll ich sagen? Am Ende des Tages war die Bushaltestelle voll von meinem Namen und mein Fahrrad immer noch rot. Im Westen habe ich dann auch die erste besprühte S-Bahn gesehen, ich konnte es kaum glauben. So was kannte ich bisher nur aus dem Fernsehen. Mir war schnell klar, dass ich ein Teil davon werden will, von dieser Bewegung, die sich HipHop nannte.

Ich bin in Lichtenberg groß geworden, zwischen lauter Nazis. Trotzdem hat mich der HipHop sofort gefangen genommen und bis heute nicht mehr losgelassen. Nachts unbemerkt aus dem Haus schleichen, mit den Sprühdosen im Rucksack auf die Gleise, es gab nichts Besseres. Wir hatten alle so ein unglaubliches Gefühl von Freiheit. Wir konnten machen, was wir wollten. Unsere Namen überall hin schreiben, auf uns aufmerksam machen, die graue Stadt lebendig werden lassen. Ich bekam schnell Probleme mit der Polizei, meinen Eltern und der Schule, aber das zählte alles nicht. Dass ich meinen Hauptschulabschluss nicht wirklich bestanden habe, interessiert heute niemanden mehr. Ich wollte nie in einem Büro arbeiten oder studieren. Und so bin ich das geworden, was ich immer wollte. Selbstständig.

Ich lege mit meinem Kumpel Dejoe Platten auf, veranstalte deutschlandweit erfolgreich Old School-HipHop Partys und male ab und zu ein paar Aufträge. Die größten Erfolge habe ich als DJ, ich bin oft in der Schweiz und werde auch bald in Amsterdam und Stockholm meine Vorstellung von HipHop verbreiten. Wenn ich auflege, ist der Raum voll von gut gelaunten Menschen und alle feiern zusammen, anders als beim Malen. Graffiti ist ein hartes Pflaster, du musst dich ununterbrochen beweisen und deinen Namen immer im Gespräch halten. Ich bin jetzt 34 und ruhiger geworden, mein Lifestyle hat sich verändert. Aber wenn ich so nachdenke, habe ich heute richtig Lust, mal wieder eine ganze Nacht sprühen zu gehen.”

Text by Lisa Kober